Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
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er über seine Pläne befragt wurde, da erklärte er mit der alten Unbeirrbarkeit, indische Sprache und Literatur studieren zu wollen. Er wollte das, was den anderen unmöglich erschien; und für ihn galt es, auf der Höhe eines Gymnasialabiturienten, die er früher wohl einmal für unerreichbar gehalten haben mochte, nicht schwindlig zu werden, nicht plötzlich bescheiden zu sein aus Angst, durch immer gesteigerte Forderungen die Gutwillig­keit des Schicksals endlich doch zu erschöpfen. Mit Hingebung wandelte er dem Ruf der Ferne nach.

Die Lehrer waren damals wie heute zufrieden, wenn sie ihre Schüler in Rom und Hellas nur einigermaßen heimisch gemacht hatten. Christian Ralf wollte von dieser Fahrt an die Küsten des Mittelmeeres nicht heimwehkrank zurückkehren in die platte Vorbereitung auf einen bürgerlichen Beruf. Schon probte sein Genius die Flügel zum Fluge in weitere Fernen des Raumes, schon rüstete er sich zum Aufbruch nach dem Wunderlande In­dien. Und auch die bislang durchmessenen Fernen der Zeit ge­nügten ihm nicht mehr. Die heutigen Italiener und Griechen mochten noch vom Großvater her der klassischen Sprachen fast mächtig sein. Im Höchstfalle trennten uns Heutige von der leben­digen Zeit dieser Sprachen ein paar armselige Jahrhunderte. Aber das Sanskrit war schon viele Jahrhunderte vor Jesu Geburt als Volkssprache erloschen. Hier mußte mit Jahrtausenden ge­rechnet werden, und in solche Abgründe der Zeit zog es Chri­stian Ralf mit wollüstigem Schwindel.

Bei der öffentlichen Abschiedsfeier mußten nach damaligem Brauch zwei Schüler eine Rede halten: der eine in deutscher, der andere in lateinischer Sprache. Merkwürdigerweise war Christian Ralf, der gewaltigste Lateiner, doch mit der deutschen Rede be­traut worden. Wie war das zugegangen?

Er hatte nun auch den Direktor des Gymnasiums für seine abenteuerlichen Pläne gewonnen. Da unter den Zuhörern, die man erwartete, nicht nur Humanisten, sondern auch wohlbegü­terte Kaufherren sitzen würden, so sollte der Schüler durch seine deutsche Rede einige der Geldsäcke hinreißen, aus ihrem Über­fluß einem armen Jungen das Nötige zum Studium zu gewähren.

Christian Ralf trug den Gästen eine Dichtung, seine Dichtung vor, in der er die unterirdischen Kraftströme sichtbar machte, die,

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