am Munde meines älteren Bruders zu jeder Stunde des Alltags Militärmärsche vernehmen, während mich die große Flöte selten, und mit dem zunehmenden Alter des Vaters immer seltener, durch die feiertägliche, adlige Gelassenheit ihrer dunklen Töne beglückte.
Die Familie der Blasinstrumente hatte in der mittleren Schublade noch einen dritten Vertreter: eine Okarina, vor der zwar alle Ehrfurcht unangebracht war, die aber gleichwohl wegen ihrer vollendeten Putzigkeit Anspruch auf Wertschätzung geltend machen durfte. Sie trug ihren glänzend schwarzen Lacküberzug wie der dickbäuchige, fettnackige Spießbürger seinen Bratenrock. An einem Ende aber verriet eine abgesprungene Stelle, daß sie mit den Kruken, die meine Mutter um ein Geringes von Pott-Bötelsch erhandelte, aus einem Material gefertigt war, wodurch der schwarze Lack zum Geständnis seiner lügnerischen Absichten gezwungen wurde. In der abgestoßenen Stelle war der kleine Kobold im wörtlichen Verstande bloßgestellt, und vielleicht wurde ihm darum im Hausgebrauch der fremdartig-vokalreiche Name entzogen, auf den er doch rechtens getauft war. Er mußte sich eine Bezeichnung gefallen lassen, die nur die großäugige Kindesunschuld des Plattdeutschen allenfalls verteidigen kann, die aber in hochdeutscher Übersetzung anstößig klingen müßte. Die— also gut!— Okarina, nach Bezeichnung und Körperbeschaffenheit Vertreterin des Amusischen, nährte ihre Beliebtheit aus der gleichzeitig befremdenden und erheiternden Tatsache, daß sich in ihrem unförmigen Bauch Melodien entwickeln konnten, Sie stand recht eigentlich im Range des musikalischen Clowns, den wir von„Sommers Theater“ her kannten. (Sommers Theater gehört auch in die Gefilde der holden Kunst, und sogar sehr, wie man noch sehen wird.)
Vor dem Übergang zum Theater müssen aber noch die bildenden Künste erwähnt werden. Mehr als eine Erwähnung kann es kaum sein; denn gegenüber der Dichtung und der Musik blieb ihnen nur ein beschränkter Raum überlassen. Immerhin waren auch sie vertreten, und zwar, soweit die Malerei in Betracht kommt, durch meinen Onkel Johann, der sich im Schutze einer landesüblichen Unverfrorenheit„Maler“ nennen durfte, ob er gleich nur Anstreicher war. Wenn er aber mit dem gewöhnlichsten
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