sten, langwierige Proben, wie unumwunden zugegeben werden muß.
Wiebke Holm war gewiß ein gutes Mädchen, und die Melodie ihres Sologesanges faßte sie nur unerheblich über Gebühr langsam auf. Aber auch sie war nun plötzlich keine gesetzte Luhnstedter Bauerntochter mehr, sondern ein windiges Dienstmädchen aus Berlin. Nach dem Willen meines Vaters sollte der Sang an Aujust, den Mann, der da kam, sah und siegte, im Vortrag etwas spürbar machen von einer Gemütslage, die wir heute vielleicht als labiles Gleichgewicht zwischen Keßheit und Sentimentalität bezeichnen würden. Hans Vollert dagegen, der Sangesfreudige, der Bücherliebhaber, Jugendfreund meiner Mutter, brauchte im Vortrag gar nicht die Feile des Spielleiters. Für ihn ging es nur um die Aneignung der Melodie. Das Übrige durfte ihm getrost überlassen bleiben. Die Arie, durch die er sich als Gerichtsdiener Schramm vorstellte, kam in Luhnstedt zu großer Beliebtheit.
„Ich bin Schramm. Wer kennt mich nicht?
Alle Tage ist Gericht.“
Hans gab diesen Singsang immer mit ansteckendem Behagen zum besten, und sein dunkler Bariton schien mir mit seinem dunkelbraunen Vollbart in besonders schöner Übereinstimmung zu leben, und der Gipfel des Vergnügens war erreicht, wenn der Herr Gerichtsdiener mit einer herrscherlichen Gebärde verkündete:„Er“— der Übeltäter nämlich—„muß brrrummmmm“! Dann schwelgte die Stimme förmlich in ihrer dunkelsten Bräune, und unter dem R-Laut zitterte der braune Bart wie in verhaltener Wut. Aber die Augen lachten.
Dabei soll auch erzählt werden, wie es Hans Vollert wenige Jahre nach diesem lustigen Spiel in tragischem Ernst mit Gerichtsdienern zu tun bekam. In der Dämmerung eines Herbsttages spürte er am Rande des Kattbecker Geheges einem Rehbock nach, glaubte das Tier zu erkennen, schoß und traf einen Knaben, der seine Drosselschlingen nachsehen wollte. Henning Wieben, der am Morgen ahnungslos unter uns andern in der Schule saß, lag am Abend im Hause seiner Eltern mit durchschossener Brust starr unter einem weißen Laken, und ein unendliches Grauen kroch in der Nacht, die dem Unheilstage folgte, wie wachsende Vereisung schlaflose Kinder an.
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