Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
Seite
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Musik selbst bei Ratten und Mäusen nur bis zum Bangemachen ging, so war von ihr tragische Verzauberung der Kinder nicht wohl zu erwarten. Meine Mutter durfte also von den Ratten und Mäusen ganz unbedacht-scherzhaft, rein redensartlich sprechen, ganz ohne Furcht vor dunklem Zauber. Ernst wurde die Sache, als mit Sommers Theater Paula in meinen Gesichtskreis trat. Diese Gesellschaft das sei gleich gesagt ließ sich mit der dramatischen Dichtung nicht ein, führte ihren Namen aber den­noch insoweit zu Recht, als der dörfliche Sprachgebrauch alle Schauveranstaltungen ohne Unterschied in dem WortKomedi zusammenfaßt. Ob sich ein Zauberkünstler angesagt hat, ob Akrobaten, Seiltänzer, Glasfresser und Feuerspeier sich zeigen, ob die Schicksale des beklagenswerten Dreyfus vorgeführt wer­den, man geht in jedem Fallto Komedi, und für all diese ver­schiedenartigen Künstler gibt es nur eine Bezeichnung:Komedi­makers. In dem Wort liegt ein gutmütiges Geltenlassen, solange _ Leute, die sich für unsere Kurzweil zu mühen haben, ihrer Min­_ derwertigkeit eingedenk bleiben. Wenn sie aber vermessene An­sprüche auf höhermenschliche Bewertung erheben, zischt die Fah­renden aus dem Wort sofort der giftige Hochmut des Seßhaften an. Da liegt ja der Unterschied, der den Rang bestimmt. Vor ihm wird alles belanglos, und im Bedarfsfalle ist Emmy von Soden ebenso heillosKomedimakersch wie irgendeine Seiltänzerin. Demgegenüber stand aber für mich fest, daß Paula Sommer ein Wesen höherer Art war. Dies ergab sich schon aus ihrem Leben im Wohnwagen. Überwältigend war die Vorstellung, daß man im Bett liegen, einschlafen kann im Geschwank des Wagens, | unter dem Geräusch, das die malmenden Räder im Sande durch­ weichter Landwege verursachen. An einem hellen Märztag vergnügte mich ein Spiel mit dem Bach, der an unserm Hause vorbeifloß. Es war ein Festtag von _ vornherein; denn ich trug ohne zureichenden Grund Stiefel mit hohem, glanzledernem Schaft, der in der Gegend des Knöchels _ ein Gewirre kunstvoller Falten zeigte. Diesen Besitz kann ich mir nur so erklären, daß meine Mutter einmal wieder ihr Bedürfnis gestillt hatte, gegen den ewigen Zwang des Sparenmüssens durch einen reinen Luxuskauf sich aufzulehnen. Und daß ich an einem Wochentag in diesen Stiefeln herumstolzieren durfte, ist mir