sen. Das fremd klingende Wort flog zwischen uns hin und her, und es befriedigte mich wohl, daß nur Eingeweihte um seine Bedeutung wissen. Jörn Sievers hätte trotz aller Kühe und Pferde vor der Forderung, Kolophonium zu beschaffen, kläglich zuschanden werden müssen. Ein wenig bange war mir doch; denn es bestand die Gefahr, zuletzt als windiger Prahler entlarvt zu werden. Aber mein Vater hatte ein Einsehen und bewilligte die Spende.
Am Abend wurde dann in Mehrens’ Saal meine Verzauberung auf ihren Gipfel geführt. Akrobaten, Seiltänzer, Athleten und Schlangenmenschen vollführten lauter Wunderdinge. In der kleinen Pause zwischen zwei Nummern des Programms tat sich die seitliche Saaltür auf. In ihren Rahmen gespannt war die blausamtene Wundernacht. Die Sterne glitzerten ganz nah. Man hätte sie von der Schwelle aus greifen können. In der Tür stand Paula. Auf dem Wege vom Wohnwagen zum Künstlerverschlag im Saal machte sie auf der Schwelle so lange halt, bis sich des entstehenden Zugwindes wegen alle Köpfe ihr zuwenden mußten. Sie hatte sich in einen sehr unscheinbaren, mißfarbenen Umhang gehüllt. Als sie aber nun einen Fuß zum Weiterschreiten vorsetzte, klaffte die armselige Hülle für Sekundendauer auseinander und ließ ein glitzerndes, silberübersponnenes, rosafarbenes Gewand wie eine unendliche Verheißung sichtbar werden. Ihre Blicke gingen so leer und gleichgültig über mich hin, als ob wir einander nie begegnet wären, und nach meinem Gefühl war das ganz in der Ordnung. So sehe ich das Mädchen noch heute vor mir stehen. Heute kann ich mir wohl denken, daß alles, dies Verweilen in der Tür, dies Klaffenlassen des Mantels und sein hastiges und fast ängstliches Zusammenraffen über dem verräterischen Spalt, von einem frühen Wissen um die Geheimnisse der Wirkung eingegeben war. Aber dem Knaben versank damals in diesem Anblick die ganze Welt. Der Saal in Mehrens’ Gasthof flog durch die Unendlichkeit, und außer ihm war nichts mehr. An seine Wände stieß der Himmel mit den Sternen, aus seinen Fernen kam ein Engel geflogen, der sich auf die Schwelle niederließ wie ein Vogel auf den letzten schwanken Zweig eines Baumes. Vor dem Öffnen der Tür faltete er noch die Flügel und barg sie unter einem bescheidenen Mantel, damit der unverhüllte Anblick der
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