Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
Seite
97
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Treede und grient mich unverschämt an. Und als ich noch grüble, wie ich mich mit den paar Butterbroten vor unsern Leuten ver­defendieren soll, da jankt auch schon die eiserne Pforte in ihren Hängen du kannst dir das ja vorstellen! Wir sind auf dem Kirchhof, und da sitzen sie denn auch richtig schon auf ihren Leichensteinen und warten. Welche sind schon tüchtig bei zu essen. Ich schime mich natürlich sehr und will man schnell machen, daß ich zu unsern Leuten komme. Kucke auch steif geradeaus, gebärde unbekannt und will gar nicht erst einen Schnack anfangen. Aber Jochen Wittmaack hat mich natürlich schon von ferne klug gekriegt. Jochen sitzt da im blauweiß ge­streiften Überhemd so auf seinem Stein, wie er sonst am Sonntag­nachmittag vor der Tür saß. Als ich herankomme, steht er auf, kommt vor bis an die Eisenstange und sagt ganz kläglich: ‚Mensch, Johann, hast du nichts von unsern Leuten gesehen? Ich bin doch so hungrig; ich kann es rein gar nicht mehr aushalten. Gib mir man erst mal von deinem Brot! Wenn unsere kommen, kriegst du es wieder. Was soll ich da machen? Jochen greift auch schon nach dem Bündel, tüdert es auf und beißt sofort in eine Brotschnitte hinein. Seiner Lena, die still auf ihrem Stein sitzen geblieben ist, reicht er auch ein Stück, und dabei sagt er: ‚Prüfe mal die Mettwurst! Ja, im Wurstmachen ist dir Johann seine Anna immer übergewesen. Da denke ich an meine Anna, die etwas weiter runter auf ihrem Stein sitzt und auch Hunger hat und auf mich lauert. Mit dem kommt Hans Rohwer schon mit seinem leeren Korb zurück, lacht und sagt zu mir: ‚Junge, mach zu! Anna ist schon ganz giftig. Eben sagte sie zu Stine Hansen, die da neben ihr liegt: Mein alter Quasselbüdel, sagte sie, hat sich natürlich wieder irgendwo festgeschnackt. Da steckt Jochen ge­rade den letzten Happen von meinem Mettwurstbrot in den Mund, wischt sich den Bart und reibt sich die Hände, und ich war nun so in der Kneife, daß ich mit Herzklopfen aufwachte.

Es können aber immer nur die letzten Toten eines Geschlechtes auf solche Weise noch in das Leben der oberen Welt hineinwir­ken, und Johann Kleens Träume vermögen die Leichensteine des Jevenstedter Friedhofs nur so weit zu bevölkern, als ihm die Menschen, die darunter ruhen, im Leben noch begegnet sind. Die Kette der Ahnen reißt den meisten beim Großvater schon ab.

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