Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
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mer konnte es wohl geschehen, daß wir die Straße von wild­entschlossenen jugendlichen Kriegern gesperrt fanden:Wat wöllt ji hier? Wöllt ji wat an de Snuut? Da ich noch ein sehr kleiner Knabe von friedfertig-träumerischer Gemütsart war, stand ich diesen Ausbrüchen einer vermeintlich reinen Bosheit fassungslos gegenüber. Aber es geschah uns ja kein Harm, und den Holtdorfer und Brammer Jungen lag wohl nur daran, auf das immer noch bestehende Fehderecht der Freigeborenen in ein­prägsamer Weise hinzudeuten. Dagegen kam es in Bokel schon vor, daß uns aus einem Garten ein freundlich lächelnder Junge anrief:Wöllt ji'n Appel hebben? Und in Vollstedt vollends, im Herrschaftsbereich des Grafen von Reventlow-Criminil also, wurden wir von der Dorfjugend mit Ehren empfangen und als willkommene Gäste wertgehalten. Ein ganz echter kriegerischer Freidörfler hätte die Vollstedter um ihrer Friedfertigkeit willen gelinde verachten müssen. Meinem Herzen aber taten die milde­ren Sitten sehr wohl. 8

Zwischen Brammer und Bokel führten verwirrende Richtsteige durch Heide und urweltliches Bruchland. Ich weiß sehr wohl, daß dort ein Bezirk von besonderer Wildheit und Weltabgeschieden­heit in einer guten Viertelstunde zu durchqueren ist. Aber immer wieder dehnt die Erinnerung an Kindheitswanderungen zum Großvater den bescheidenen Raum wider alles bessere Wissen ins Riesenhafte. Stundenlang streiften wir durch die Steppen Nord­amerikas. Hier gemahnte nichts mehr an die geduldige Arbeit seßhafter Menschen, und die schmalen, halbüberwucherten Steige rührten von streifenden Jägern her, Weißen und Roten. In jedem Augenblick konnten aus dem Dickicht Indianer hervorbrechen. Aber diese Möglichkeit war keine Störung des Wanderbehagens dem, der sich allen Gefahren gewachsen wußte. Obwohl ich noch vor einer halben Stunde in Brammer schlotternde Angst ausge­standen hatte, war doch dieses Erlebnis nun schon ganz versunken, und von dorther konnte keine Beschimung mir den hohen Mut dämpfen.

Der große Bruder Christian, fünf Jahre älter als ich, erlegte auch wohl mit Sachkunde eine Kreuzotter. Ich sah dem Kampf mit dem Drachen aus großzügig bemessener Entfernung zu. Ge­wiß lag es mir fern, den Ruhm des Bruders zu schmälern. Ich

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