Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
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und so mußten die Hände oft mit gekrampften Griffen in der Mähne Halt suchen. Wenn aber die kurzen, eckigen, stoßhaften Bewegungen des Trabes in den wohligen, gerundeten Schwung des Galopps übergingen, dann war ich kein schlechter Reiter mehr, sondern ein Ritter, der mit dem Rausch schnellen Raum­gewinns zugleich die gelungene Unterjochung der Kreatur genoß. Vor demHeck der Weidekoppel blieben die Pferde, die selbst noch einmal in Leidenschaft geraten zu sein schienen, mit einem gefährlichen Ruck stehen. Machte ich hier Hans Göttsches letzte Hoffnung auf die Wirkung des Beharrungsvermögens geistes­gegenwärtig zunichte, hielt ich mich oben, dann war er sichtlich enttäuscht, weil wieder einmal der Nachweis mißlungen war, daß sich ein Böttcherjunge sträflich vermißt, wenn er sich mit Pferden einläßt. Hans Göttsche war ein Sonderfall. Andere Jun­gen ließen ihre Einladung zum Mitreiten gutmütig und ohne jeden Hintergedanken ergehen.

Im Leben eines Bauernjungen bezeichnen sich die entschei­denden Stationen auf dem Wege zur Männlichkeit durch Erleb­nisse mitPferden und Wagen. Wer zum ersten Mal vom Sitz­brett aus, Peitsche und Zügel handhabend,ut Leit fährt, ist dem Vater oder dem Großknecht um ein erhebliches näher ge­rückt. Für mich freilich gab es Derartiges nicht. Ich mußte meines Reifens an anderen Merkzeichen innewerden.Die Bedürfnisse des handwerklichen Betriebes sowohl als auch die bescheidene Viehhaltung machten es von Zeit zu Zeit erforderlich,Fuhr­werk anzunehmen. Den Verträgen, die mein Vater zu dem Behufe abschloß, lagen nun keineswegs bestimmt gefaßte Ab­machungen zugrunde. Vielleicht lag den Bauern daran, solchen Spanndiensten von ihrer Seite denn doch entschieden den Cha­rakter des Beiläufigen zu geben, dessen Gegenwert sich bei der Festlegung in Mark und Pfennig etwas lächerlich ausnehmen mußte. Als kleine Gefälligkeiten, von denen weiter nicht die Rede zu sein braucht, nahm sich dies alles viel vorteilhafter aus. Dem Billigkeitsempfinden meines Vaters und freilich auch seinem Stolz blieb es überlassen, in geeigneter Weise für den Ausgleich zu sorgen.

Meistens war Hans Vollert, der alte Freund meiner Eltern, den ich seiner Erzählerqualitäten wegen so sehr liebte, zumAn­

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