Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
Seite
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Wer nicht weiß, wohin mit überflüssiger Zeit und überflüssi­gem Geld, der 1äßt sich mit dem Teufel ein und begibt sich in die Gefahr, eines Tages irgendwo mit gebrochenem Genick aufge­funden zu werden. Dazu kam es nun freilich nicht; aber Meierist Boie wußte doch sehr aufregenden Bericht von allerlei Aben­teuern zu geben. Waren dem noch unerfahrenen Fahrer nicht eines Tages, als er von der Höhe des Ziegelberges auf Bargstedt zu­rollte, die Pedale aus der Gewalt geraten, so daß er sich, wie er sagte,tot im Sarge gesehen habe? Das WortHöllenfahrt klang in seinem Munde nur noch halbwegs bildlich. Ein anderes Mal war er bei Wisbeck kopfüber in eine Weißdornhecke ge­flogen, und zwar genau an der Stelle, die er schon aus einer Ent­fernung von hundert Metern widerwillig zwar, aber doch wie höherem Spruch gehorsamend, dafür ausersehen hatte.

Vom Fahrrad ging für mich eine fast unheimliche Faszination aus. Die Mutter überlieferte mir meine frühe, aber äußerst ent­schiedene Willenskundgabe:Flozipeh wüllk ok hebben! Das Vermögen, sicher dahinzufliegen auf blitzender Maschine, die, wenn man sie sich selbst überläßt, sofort umfällt, hatte unbedingt auch hohen artistischen Rang. In meinem Abendgebet trug ich oft dem lieben Gott meinen Wunsch vor, einFlozipeh zu be­sitzen. Aber er rührte sich nicht, und ich wurde deswegen an sei­ner Güte nicht irre; denn auch mein Vater, an dessen Güte ich doch nicht zweifeln konnte, machte keinerlei Anstalten zum Kauf eines Fahrrades, obwohl er mein Verlangen sehr wohl kannte. Eines Abends aber setzte ich dem himmlischen Vater mit theologischen und anderen Spitzfindigkeiten energischer zu. Ich erinnerte ihn an seine Aufforderung:Rufe mich an in der Not! Und eine Not lag doch unbestreitbar vor, nachdem mir mein Vater sehr ernst erklärt hatte, zum Fahrradkauf fehle es ihm jetzt und in aller Zukunft an Geld. Ich packte den lieben Gott bei der Ehre und hielt ihm vor, in Anbetracht seiner Allmacht könne es ihm doch nichts ausmachen, mir in dieser Nacht ein Flozipeh in unsern Torfstall zu stellen.

In der Exaltation dieser Abendstunde schien mir meine Beweis­führung so zwingenden Charakters zu sein, daß selbst Gott sich ihr wohl werde beugen müssen. Am nächsten Morgen schlich ich mich aber doch ernüchtert und von Zweifeln stark geplagt in den

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