Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
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gehrlichkeit possierlichen Ausdruck, und wahrscheinlich wird er auch in diesem Jahr wiedersein Maß nicht wissen.

Das eigentliche Fest aber führt erst der Tag. des Wachskochens herauf. Den Verrichtungen dieses Tages würde das alltägliche WortArbeit den Goldstaub abstreifen, womit sie zauberisch überstreut sind. Wie es dem Vater gelingt, sie ohne großen Auf­wand ins Gebiet nahezu kultischer Handlungen hinüberzunöti­gen, darin bewährt sich sein Künstlertum. An diesen Handlungen ist die ganze Familie beteiligt: Vater, Mutter und vier Kinder. Und auch die Geister eilen dienstbereit herzu. Unser Haus ist voll von Geistern, guten und bösen. Aber die bösen hält die Weihe des Tages gebannt.

Am Pfosten der Werkstättentür ist etwa in Meterhöhe mit fünf riesigen schmiedeeisernen Nägeln ein vierkantiger Klotz befestigt. Während des ganzen Jahres macht er sich nicht be­merkbar, monatelang verbirgt er sich hinter aufgestapeltem Holz. Trifft ihn von Zeit zu Zeit ein Blick, so ist zwar immer unver­kennbar, daß die Anordnung der Nägel ein Menschengesicht nachbildet; aber die Züge dieses Gesichts bleiben unbewegt. Wer meinem Vater bei seiner Böttcherarbeit so ausdauernd zuschaut, wie es einer unserer Nachbarn tut, der kann wohl in einem Monat erfahren, welchem Zweck die vielen, geheimnisvollen Geräte und Vorrichtungen einer Böttcherwerkstatt dienen. Der Klotz aber mit dem Nagelgesicht gibt um solchen Preis sein Geheimnis nicht her. Nur am Tage des Wachskochens enthüllt er den Sinn seines Lebens.Einmal nur im Jahr... Derlei Dinge kommen sonst nur in Märchen vor, wo es ja Türen gibt, die sich nur alle hun­dert Jahre einmal öffnen.

Heute wird Wachs gekocht, heute hat das Klotzgesicht dort am Türpfosten seinen großen Tag. Der frohen Unruhe des Tages hält seine mürrische Unbewegtheit nicht stand. Eben hat es sehr verschmitzt und verständnisvoll mit dem einen seiner Nagel­augen gezwinkert, und jetzt gelingt dem kleinen, runden Nagel­mund gar ein breites Grinsen. Und nun ist die Verzauberung vollkommen: dort an der Tür steht ein stämmiger, gutartiger Zwerg und wartet seiner Stunde.

Aus mancherlei Anzeichen muß auch der Unkundige das Be­sondere des Tages erahnen. Großvaters gewaltiger Kupferkessel

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