Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
Seite
155
Einzelbild herunterladen

von meinen Eltern erworben, das treuherzige, biedere und billige Volk: Reclam-Hefte, Volkserzählungen, Kalender. Zum Schluß fehlte es auch nicht an bedenklichen Erscheinungen: Kriminal­romane und Kolportageschmöker in Lieferungen waren auch vorhanden. Meine fromme Ehrfurcht vor der gedruckten Sprache, der Sprache also, die dem Alltag entzogen ist, gewann es noch über sich, den ganzen Wust einfach und heiß zu lieben. Wenn die Schulmeisterangst vor demgefährlichen Buch in jedem Falle berechtigt wäre, so müßte ich mich in Hinsicht des sprachlichen Geschmacks um die sittliche Verwüstung noch ganz unberücksich­tigt zu lassen vollkommen jenseits von Gut und Böse ergehen.

Zu eigenem Besitz wurde noch das Lesbare aus anderen Häu­sern herangetragen. Der Bauer Hans Vollert ist mir auch ein Beweis für die Behauptung, daß der Mensch zu dem gelangt, was er wirklich will. Wenn es anders nicht geht, muß sich das Wun­der solche Erfüllungen angelegen sein lassen. In einem Dorf, zwei Meilen von Luhnstedt, in einer Ferne also, in die freund­schaftliche und verwandtschaftliche Beziehungen nicht hinausge­knüpft werden können, wo auch die Kirchspiels- oder Markt­stadtgemeinsamkeiten keine Verbindungen mehr schaffen, in einer für die meisten Luhnstedter schon halb sagenhaften Abge­schiedenheit lebte ein vermögender Sonderling, mit dem Hans Vollert ein einziges Mal bei einer Beerdigung zusammengetroffen war. Dieser Mann nun bedachte unseren Freund in seinem Te­stament, und eines Tages mußte Hans zur abenteuerlichen Fahrt anspannen. Auf einem klapprigen Wagen brachte er spät abends sein Erbgut heim. Von nun an war mir die nicht eben sehr ordentliche Wohnstube des Bauern ein Heiligtum, in das ich mich an manchem Sommertag zu stundenlangem Verweilen einschlich. Die Vollert-Leute kümmerten sich nicht weiter um mich, und wenn alle auf dem Felde waren, konnte ich durch eine unver­schlossen gebliebene Stalltür oder ein Fenster doch immer ein­dringen. Unter den beiden Fenstern der Wohnstube lag ein Obst­garten, dessen wuchernder Rasen von der Sense so selten behelligt wurde, daß er sich über verwilderte Steige unmittelbar an die Fach­werkmauer heranwagen konnte. Dieses Rasens und der großen, enggepflanzten Apfelbäume wegen war in dem Zimmer auch am glühheißen Sommermittag kühle, grüne Dämmerung. Und da

155