Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
Seite
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mehr von ihm entfernt. Trotzdem 1äßt man sich nach einiger Zeit zu neuen Versuchen hinreißen. Der Erzählung vomTy­rannen der Goldküste war ein vollständiges Verzeichnis der Bücher des Verlages beigegeben. Da fand ich die Geschichte von den Nordpolfahrern aufgeführt, die ich in meiner Jugend nie zu Ende lesen konnte, weil von Seite 225 ab die letzten Blätter aus dem alten Buch herausgerissen waren. Ich habe, gemächlich über die verhängnisvolle Seite hinlesend, nach Jahrzehnten das Ende der Reise erfahren. Aber es hat mir nicht geholfen. Wie sollte es auch? Die Erfüllungen fangen nachgerade an, mir Angst zu ma­chen. Ist denn das Leben meiner Mutter eitel Glück gewesen, nachdem sie BürgersLenore wiedergefunden hatte? Blieben meinem Vater die Sorgen erspart, als er Reuters Werke besaß? Mir bleibt als Zuflucht ein anderes altes Buch, dem nicht nur am Schluß, sondern auch im Anfang viele Seiten fehlten. Die paar Bogen des armseligen Restes hingen in gelockerten Fäden nur noch sehr lose zusammen. Es war eine Sammlung von Sagen, und eine der kurzen Geschichten war so schön, daß ich bestimmt nie Schöneres gelesen habe. Sie war so schön, daß ich mir ihren Ge­nuß nicht einfach nahm wie ein Stück Brot, sondern es mir gleich einem Sakrament spendete. Aber was war es mit dieser Erzäh­lung? Wovon handelte sie? Vorbedingungen einer strengen Feier­lichkeit mußten erfüllt sein, ehe ich sie las, Alleinsein war eine der Bedingungen. Nacht eine andere. Nur im Lichtkreis der Lampe mit den im Sprung erstarrten Löwen durfte die Ge­schichte gelesen werden, wenn die Eltern was selten genug| vorkam am Abend Nachbarsleute besuchten, wenn in den Linden draußen der Sturm tobte.. Wenn ich mich ohne Schutz fühlte, gab mir diese Erzählung ein heiliges Vertrauen auch in| die dunklen Mächte des Lebens. Was war es doch mit der Ge­schichte? Wenn ich sie noch einmal lesen könnte, das wäre viel­leicht eine Erfüllung! Von einem geängsteten Menschen war die Rede, der verzweifelnd in einen See sprang und nach einem lan­gen und unsagbar seligen Versinken am Grunde nicht den Tod, sondern die Erfüllung seines Lebens fand.

Das innere Leben unterliegt einem geheimnisvollen Wech: von Ebbe und Flut. Im öden grauen Watt mit den traurig

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