Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
Seite
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bringt euch damit in den Verdacht, den albernen Teufelsglauben eurer Vorfahren immer noch nicht ganz abgetan zu haben, und eines solchen Verdachtes werdet ihr euch als aufgeklärte Men­schen doch hoffentlich gebührend schämen. Seht, das Böse hat in keinem Falle andere als sozusagen mechanische Ursachen. Wenn etwas nicht so ist, wie es sein sollte, dann ist ein Fremdkörper ins soziale Getriebe geraten, vielleicht ein Steinchen, vielleicht ein Stahlsplitter. Aber die Ursache dieser Störung wird sich schon finden lassen, und mit ihr beseitigen wir dann auch die kleine Störung, die ihr rückfällig und maßlos übertreibend dasBöse nennt,

Wenn von dem, was das 19. Jahrhundert mitbestimmte, vieles tot und vergangen sein muß, so an allererster Stelle dieser ruch­lose Fortschrittsglaube, der das Böse verharmlost und zu einem Popanz macht. Das dunkle Wort Schuld paßte nicht in diese aufgeklärte Welt, und in der Dichtung schickte sich der traurige Irrtum an, die tragische Schuld zu verdrängen. Im Jahre 1843, als dieser Aberglaube in verheißungsvollen Knospen stand, rückte zwar dem Dichter Friedrich Hebbel beim Nachdenken über die menschliche Tragödie die Idee der tragischen Schuld in die un­mittelbare Nähe der christlichen Erbsünde, einer unleidlichen mittelalterlichen Abgestandenheit also. Aber die Fortschritts­priester verstanden nicht, daß ihnen da auf eine unheimliche Art widersprochen wurde. Fragen, die ihnen der Bösewicht Golo vorlegte, ließen sie auf sich beruhen, wie sie denn überhaupt von demabsonderlichen Hebbel vorsichtig Abstand hielten. Dem Schöpfer der Mariamne und der Rhodope aber traten sie gleich wieder zu nahe, wenn sie in ihm ihresgleichen sahen, einen wak­keren Mann, der sich die Emanzipation unverstandener Frauen angelegen sein ließ. Sie, die da meinten, dem Menschengeschlecht so herrlich die Reveille getrommelt zu haben, befolgten in Wirk­lichkeit mit ahnungslosem Gehorsam die Mahnung des unver­standenen Dichters:Nur rühre nimmer an den Schlaf der Welt!

Den Namen Gottes führte man wohl auch weiterhin noch im Munde. Aber die Divina commedia ist langweilig und belanglos geworden, seitdem ihrem Helden der Gegenspieler genommen ist. Es könnte auch sehr leicht so sein, daß in einem Zwischenakt unberufenes Volk aus dem Zuschauerraum auf die Bühne ge­

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