Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
Seite
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kannte jede geräuschvolle Gewaltsamkeit. Er wütete nicht, hohn­lachte nicht, drohte mir nicht mit starken Worten; er war ganz still. Und zuletzt stand ich ihm gegenüber, dem schweren, massi­gen Mann, dessen Gesicht die Dunkelheit mir verhüllte. Mit keinem Wort, mit keiner Bewegung verriet er seine Absichten. Es blieb ihm dazu wohl keine Zeit. Denn nun war ich erwacht, und ein Ge­stöhne mit abschließendem Schrei hallte noch nach im eigenen Ohr.

Sein Gesicht zeigte mir der Unbekannte nur durch das Fenster meiner Schlafkammer. Als er zum erstenmal dort stand, hatte ich vor dem Einschlafen vielleicht so lange auf das Fenster ge­sehen, bis mir sein Nachbild mit der umgekehrten Verteilung von Licht und Finsternis derart auf der Netzhaut liegen blieb, daß die Gestalt des Wahrtraumes in seinem Rahmen erscheinen mußte. Er hatte die Arme auf die äußere Fensterbank gestützt und sah mich aus dunklen und wie ich meine schielenden Augen unverwandt an. Sein Gesicht war bleich und starr, um­geben von der Schwärze eines langen, schütteren Bartes. Ich fror in meinem Grauen, wollte mich auflehnen gegen ein Unheim­liches, das mehr und mehr Gewalt über mich gewann, konnte mich aber nicht einmal von dem Anblick abkehren. Es half mir nicht: ich mußte aufstehen, an das Fenster gehen, nach dem Vor­bild des Unbekannten meine Ellbogen auf die innere Fensterbank stützen. Unbewegt und ohne seinen Willen auf das leiseste zu bekunden, sah er dem allen zu. Nur war er jetzt dem Fenster so nahe gekommen, daß seine Stirn sich an die Scheiben preßte. Da sank ihm mein Kopf langsam entgegen. Zwischen unseren Stirnen war nur noch die dünne, kalte Wand des Glases, und gebannt hing ich über dem Abgrund dunkler Augen, der wie ich nun sah mich nicht eigentlich bedrohte, für mich auch keinen Platz mehr hatte, weil er mit der tiefen, luziferischen Trauer des Ab­trünnigen bis an den Rand gefüllt war.

Von nun an vermied ich es ängstlich, mit dem Nachbild des Fensters einzuschlafen. Bis über das zwanzigste Lebensjahr hinaus blieb es mir Bedürfnis, mein Bett so zu stellen, daß ich, auf der rechten Körperseite liegend, mit der linken Hand in der begin­

nenden Bedrohung sofort die Mauer ertasten konnte. An dieser

Berührung fand sich mit einem Ruck der halbunterjochte Geist ins Wachen und in die Wehrhaftigkeit zurück. Aber der Unbe­

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