kannte machte doch immer wieder meine kleinen Künste zunichte; immer wieder zwang er mich zu diesem entsetzlichen Gang an das Fenster.
Ich habe damals von diesem Traum zu keinem Menschen gesprochen, weil ich die Rache des Unbekannten fürchtete. Ohne Wort hatte er von mir Schweigen über unsere nächtlichen Begegnungen gefordert, und ohne Wort hatte ich ihm Schweigen gelobt. Beides war für mich unbezweifelbare Wirklichkeit: der Gang an das Fenster und die Erscheinung dahinter. Heute brauche ich dem Unbekannten nicht mehr in die Augen zu sehen, und ich weiß nicht, in welche Bereiche des Seins er jetzt gebannt ist. Von dem grauenvollen Gang ans Fenster aber glaube ich jetzt noch, daß er auch im Sinne unserer Diesseitigkeit volle Wirklichkeit gewesen ist. Denn als ich in der Nacht vom 31. Juli auf den 1. August 1914 gastweise wieder in meiner Knabenkammer schlief, habe ich noch einmal am Fenster gestanden, ganz so wie in früheren Jahren, mit aufgestützten Ellbogen. Die Juli-Nächte des Jahres 1914 klangen mir noch wie in alter Zeit.(Dadurch unterscheidet sich Luhnstedt von allen Orten der Erde, daß seine Sommernächte klingen, in aller Wirklichkeit und dem wachen Ohr vernehmbar klingen!) In dieser Nacht aber wurde das Klingen fortgesetzt zu einem schrillen, bösartigen Telefongeklingel, das mich immer wieder aus unruhigem Schlaf auffahren ließ. In meinem Elternhaus gab es kein Fernsprechgerät. Und doch war es, als müßte ich anhören, wie das Geläut hier und da in deutschen Landen die Männer aus dem Schlaf riß und zu den Waffen rief, und auch ich gehörte zu denen, die ausziehen mußten.
Mit einem Male stand ich am Fenster. Da zogen sie schon hin, auf Nindorf zu, Soldaten, unabsehbare Massen. Kein Wort wurde laut in dem langen Zuge, und die Stiefel gaben auf dem Straßenpflaster keinen Hall. Nur ein kurzer, klickernder Laut wie von einem Zusammentreffen metallener Gegenstände war hin und wieder hörbar, ein Geräusch, wie es mir von militärischen Nachtübungen her noch frisch in der Erinnerung lag.— Es sind in der Nacht vor der Mobilmachung keine Soldaten durch Luhnstedt gezogen. Aber ich meine doch, am Fenster gestanden zu haben wie in alten Zeiten, Stunde um Stunde, und da in der übermenschlichen Freiheit der Träume Raum und Zeit keine
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