beschert wurde. Alle Besucher des Hauses wies ich entweder dem Lager der Kurzweiligen oder dem der Langweiligen zu. Zuweilen erschien nach dem Abendbrot ein langweiliger Gast, der über anderthalb Stunden hin besondere Absichten zu leugnen versuchte, obwohl er sich durch die Lederpantoffeln und die sonntägliche Pfeife schon beim Eintreten verraten hatte. Ein ungeschriebenes Gesetz des Wohlverhaltens verbietet, mit dem Zweck eines Besuches roh herauszufahren. So weit aber waren wir in Luhnstedt gegen homerische Zeiten denn doch schon vorgeschritten, daß wir nicht erst frühestens nach einer Woche der verschwendeten Gastfreundschaft mit Enthüllungen rechnen durften. Doch waren die anderthalb Stunden manchmal schon schwer genug zu ertragen. Hin ging das„Gedröhn“, dem meine Mutter jetzt mit schlecht und recht verhohlenem Mißmut, zu anderen Zeiten aber auch mit einem kaum merklichen spöttischen Lächeln zuhörte. Der Vater dagegen schickte sich mit einer vorbildlichen Geduld in das Schneckentempo des Gespräches.
Dem Gast war der Ehrenplatz im Sofa eingeräumt worden; vor ihm stand der Tabakskasten aus Nußbaumholz. Minutenlang stockte die Rede, und im weiteren Verlauf des Abends konnte jede Pause die Wendung auf den Zweck des Besuches bringen. Wenn sich aber die Stille ergebnislos hindehnte, gab mein Vater dem Tabakskasten einen kleinen Stoß und sagte ermunternd:„Stopp in!“ Das geschah denn auch mit aller Umständlichkeit; aber auch frischer Tabaksqualm konnte den Gedankenablauf nicht beschleunigen. Das Ganze hatte Ähnlichkeit mit dem Wachen bei einer Kuh, die gebären soll. Da muß man sich eben mit Geduld wappnen. Endlich kündete sich die Wendung an mit den zögernd vorgebrachten Worten:„Jaaa, Klaas, ik wull man mal mit di snacken.“ Der Unkundige wird meinen, dies sei ja schon lange genug, überlange und im ganzen unergiebig geschehen; er wird nicht sehen, wie hier das Neue hervorbrechen soll. Wem die Worte nicht flink vom Munde gehen, der muß sie, um das Versäumte einigermaßen einzubringen, mit Bedeutung geradezu überlasten, wobei dann auch die Betonung eine große Rolle spielt.„Ik wull man mal mit di snacken“, das bedeutet:„Scherz beiseite!“ und:„Aufgepaßt! Jetzt wird’s Ernst, jetzt rücke ich mit meinem Auftrag heraus.“ Nun endlich wurde
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