Dem tobenden Bettler sogar, der sich im Säuferwahn vor eingebildeten Verfolgern in die Werkstatt flüchtete, wurde nicht die Tür gewiesen. Schreiend lief er im Raum von einem Fenster zum anderen. Überall sah er hinter Knicks und Häuserecken die Pikkelhauben der Gendarmen auftauchen, die das Haus umstellt hielten. Mein Vater bekämpfte diese Wahnvorstellungen mit guten, aber unwirksamen Vernunftgründen, bis er den Ungebärdigen zuletzt in einer Ecke auf einen Haufen frischer Späne zum Schlafen niedernötigen könnte.
Ein wahnsinniger Straßenmusikant saß stundenlang in der Werkstatt und führte irre Reden. Seine verbeulte und grünspanbeschlagene Trompete wiegte er zärtlich auf den Knien. Sollte sie ihm als Geschenk Sr. Majestät des Kaisers nicht ganz besonders wert sein? Aber die Feinde hatten trotz aller Vorsicht von seinen Beziehungen zum Kaiserlichen Hof Wind bekommen. Vor zwei Jahren hatten ihn denn auch richtig die Anarchisten zwischen Eisendorf und Nortorf überfallen und böse zugerichtet. Man wird die Narben am Kopf nun immer ganz deutlich sehen können; denn wo die Anarchisten einmal hingestochen und hingeschossen haben, da wächst kein Gras und kein Haar mehr. Eine der Narben ist so tief, daß man einen Finger hineinlegen kann. Mein Vater hörte dem sinnlosen Gerede mit geduldigem Erbarmen zu, bestätigte die Größe und Tiefe der Narben, von denen keine Spur zu entdecken war, gab seinem Abscheu vor Anarchisten Ausdruck, bis dem Musikanten der starre, stählerne Glanz aus den Augen hinwegschmolz, bis er erklärte, nun die letzten Bedenken überwunden zu haben. Dann erhob er sich mit einem ruhigen, glücklichen Lächeln, um sich ohne Verzug von der Tochter eines reichen Bauern in Nindorf endlich das„süße Jawort“ zu holen.
Ich gebe gern zu, daß hier manches in meine Ohren kam, was für sie nicht bestimmt war. Wohl suchten meine Eltern ihre Kinder zu bewahren vor den Gefahren, die aus einem zu frühen Wissen erwachsen können. Aber die Enge des Hauses setzte die-. sen Bemühungen Schranken, und die Enge eines Dorfes macht es fast unmöglich, bedenkliche Ereignisse vor den Kindern zu ver
bergen. Früh wird das Dorfkind in alle Verwirrungen des Lebens
hineingerissen, und fast möchte ich das dörfliche Leben um dieser Grausamkeit willen preisen. Unter der Hülle seiner ruhi
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